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SARRASANI "Der Zirkus muss spielen"

(cw) Eigentlich war es nicht mehr als ein Zufall, der Mörlenbach eine besondere Epoche seiner Ortsgeschichte bescherte. Der in Mannheim 1956 neu gegründete Zirkus Sarrasani musste 1961 sein Winterquartier in der Lüttichkaserne an die Bundeswehr abgeben. Zufällig erfuhr der Zirkusdirektor Fritz Mey von einem zum Verkauf stehenden Sägewerk in Mörlenbach.  Aber die damalige Schotterstraße erreichten er und seine Frau Ruth den ihnen unbekannten Ort und Fritz Mey, ausgebildeter Zimmerer und Bauingenieur wurde schnell mit dem  Sägewerksbesitzer Leonhard Schenk einig. „Die alten Handwerksmeister ... gekauft per Handschlag ...“ erzählte Ruth Mey 2012 unserer Zeitung. Mörlenbach wurde das neue Winterquartier des Zirkus.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Zirkus bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich und nicht nur durch die zwei Weltkriege etliche Tiefschläge erlebt. Gegründet hatte ihn 1901 Hans Stosch, der im Alter von 15 Jahren von zuhause ausgerissen war, um sich einem kleinen Wanderzirkus anzuschließen. Er arbeitete sich hoch bis zu einer eigenen Artistennummer als Dressur-Clown, mit der er sich bei anderen Unternehmen verdingte und für die er sich den Künstlernamen Sarrasani ersann. 1902 feierte er Premiere mit seinem eigenen Zirkus Sarrasani, für den er zehn Jahre später einen festen Winterbau, ein Zirkus- Theater in Dresden eröffnete. Der erste Weltkrieg brachte das Zirkusgeschäft zum Erliegen. Ein Großteil der inzwischen 500 Beschäftigten musste Kriegsdienste leisten. Viele Tiere verhungerten. Der Zirkus erholte sich nur langsam, als Fritz Mey auf ihn traf. Er lernte Zimmerer und arbeitete in dem Betrieb, der die Holzbänke für das Zirkuszelt von Sarrasani baute. Der Zirkus faszinierte ihn. Nach der Lehre studierte er Bauingenieur und folgte dann seinem Herzen zum Zirkus, wo er sich vom Stallburschen zum technischen Leiter hocharbeitete. Nach dem Tod von Hans Stosch-Sarrasani blieb Mey bei dessen Sohn Hans Stosch-Sarrasani jun., als dieser 1941 plötzlich starb bei dessen Wittwe Trude, die den Betrieb weiter führte. Wieder beendete der Krieg das Geschäft. Die Brandbomben, die Dresden am 13. 2. 1945 zerstörten, trafen auch das Zirkus-Theater.
Trude Sarrasani wanderte nach Südamerika aus. Fritz Mey, seit kurzem verheiratet mit Ruth, geb. Bitterlich, war zum Kriegsdienst eingezogen. Erst 1950 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Aufgrund seiner Beziehungen in der Zirkuswelt, fand er eine Anstellung als Betriebsleiter bei Zirkus Althoff in Mannheim. „Meinem Mann schwebte vor: Sarrasani muss wieder her“, erzählte Ruth Mey 2012 dem Weschnitz-Blitz. Mit einer Genehmigung von Hedwig Brandt, geb. Stosch, Tochter des „alten“ Sarrasani, konnten sie 1956 die „Welturaufführung“ des neuen Zirkus Sarrasani feiern, ganz nach dem vom „Alten“ geprägten Motto: Der Zirkus muss spielen! Ab 1961 war dann das Winterquartier in Mörlenbach. „Wir waren hier mit unserem Zelt, bis zu 100 Wagen, den Tieren ... unsere Bekannten und Geschäftsfreunde haben sich gewundert: Mörlenbach – wo liegt denn das? ... Ab März sind wir gereist ... im Winter waren wir wieder da. Mörlenbach hat seinen Bekanntheitsgrad letztendlich Sarrasani zu verdanken, denn es stand in jedem Programmheft“, erzählte Ruth Mey.
Der gelernte Zimmerer Fritz Mey betrieb das Sägewerk weiter. Hier konnte er sein Personal im Winter beschäftigen. Er baute für den eigenen Bedarf und für andere Zirkusunternehmen Sitztribünen und Wagen. Das Ehepaar Mey lebte im Wohnwagen bis Ruth Mey auf einen festen Stützpunkt bestand. 1964 bezogen sie das neue Haus in Mörlenbach, in das auch Ruth Meys Mutter einzog. In den folgenden Jahren wurde der Zirkus zumindest im Winter fester Bestandteil des öffentlichen Lebens von Mörlenbach. Die Kinder waren mehr im Winterlager als in der Schule, vor allem der Tiere wegen, wie Ruth Mey sich erinnerte. Es gab nicht nur Ponyreiten, mit viel Glück durfte man auch mal auf einem Kamel oder gar auf einem Elefanten sitzen. Zweimal im Jahr war die An- und Abreise des Zirkus eine öffentliche Attraktion, manchen ein Ärgernis. Vom Bahnhof Mörlenbach aus wurden die grünweißen Zirkuswagen, auf Zugwaggons verladen, zu den Aufführungsorten gefahren. Die Elefanten mussten vom Winterquartier bis zum Bahnhof zu Fuß gehen. Es wird erzählt, sie hätten sich ihr Wegproviant aus den angrenzenden Schrebergärten geholt. Die Route musste wegen der Beschwerden der Gartenbesitzer verlegt werden. Auf wenig Gegenliebe stieß auch die Gewohnheit eines Dompteurs, mit seinem Löwen an der Leine zum Raiffeisenmarkt zum Futtereinkauf zu gehen. Die Gemeinde untersagte dies, erinnert sich ein Zeitzeuge. Überwiegend war der Zirkus in Mörlenbach gern gesehen, nicht nur weil die Gemeinde finanziell von den vielen Menschen und Tieren profitierte. Sie war auch alljährlich Ort der Generalprobe bevor der Zirkus zu seiner Tournee aufbrach. Die Mörlenbacher durften die Probe kostenlos anschauen. Fritz Mey „war der Zirkusdirektor in Frack und Zylinder ... ich habe die Stabilität im Hintergrund geschaffen“, erzählte die gelernte
Finanzbuchhalterin Ruth Mey. Unter der Leitung von Ruth und Fritz Mey wurde Sarrasani in den 60er und 70er Jahren wieder eines der führenden deutschen Zirkusunternehmen, das europaweite Anerkennung genoß. 1968 erhielt Fritz Mey hierfür das Bundesverdienstkreuz. Als Fritz Mey 1972 Vater eines Sohnes wurde, Mutter war die Artistin Ingrid Wimmer, zog sich Ruth Mey aus dem Zirkusgeschäft zurück. Sie gründete in Mörlenbach den „Sarrasani-Treff “, einen „Freitzeitpark mit schmuckem Restaurant, Festzelt und Spielanlagen“, wie die Odenwälder Zeitung 1976 schrieb. Viele Gründe führten dazu, dass der Zirkus in die Krise geriet. 1980 übernahm Ingrid Wimmer die Geschäftsleitung, im Jahr 2000 Sohn André. Er trägt den Namen Sarrasani weiter und führt das Unternehmen heute als Varieté-Theater in Dresden. Der Mörlenbacher Besitz wurde nach und nach verkauft. Der Wohnsitz des Ehepaars Mey blieb jedoch bestehen. Fritz Mey verstarb dort 1993, Ruth Mey 2018. Sie sagte 2012 von sich: „Ich bin jetzt über 50 Jahre in Mörlenbach und heute will ich nicht mehr weg.

 

Quellen:
Ernst Günther: SARRASANI wie er wirklich war, Berlin 1984
www.circopedia.org/Circus_Sarrasani
wikipedia.org/wiki/Fritz_Mey, www.sarrasani.de
Circus Sarrasani in Zahlen, 20. 6. 19 Kömmerling/Lorenzen
„Mein Leben ist der Zirkus“ – Ruth Mey, Weschnitz-Blitz Nr. 52,
November 2012


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